Die Gesundheitsämter in Deutschland spielen eine entscheidende Rolle, insbesondere in Krisenzeiten wie einer Pandemie.

Sie sind verantwortlich für die Überwachung und Kontrolle von Infektionskrankheiten, die Inspektion von Kitas und Seniorenheimen sowie die Sammlung und Analyse von Infektionsketten. Darüber hinaus verwalten sie sensible Daten von Millionen von Bürgern.

Trotz ihrer zentralen Funktion werden sie jedoch nicht als „kritische Infrastruktur“ angesehen, wie beispielsweise Krankenhäuser oder Energieversorger.

Laut IT-Sicherheitsexperte Manuel Atug von der “AG Kritis”, einem Expertennetzwerk für kritische Infrastrukturen, bedeutet dies, dass Gesundheitsämter weder verpflichtet sind, Schwachstellen noch Systemeinbrüche zu melden, noch müssen sie sich alle zwei Jahre einer externen Prüfung unterziehen.

Das hat zur Folge, dass die Herausforderungen, mit denen die Gesundheitsämter im digitalen Bereich konfrontiert sind, oft unsichtbar bleiben.

Die Vernachlässigung der Digitalisierung

Über Jahre hinweg wurde das Thema der Digitalisierung in den deutschen Gesundheitsämtern weitgehend vernachlässigt. Dann kam die Corona-Pandemie, und mit ihr die Erkenntnis, wie schlecht die Gesundheitsämter technisch ausgestattet waren.

E-Mail-Postfächer liefen über, Telefonanlagen brachen zusammen, und Papierberge machten eine effektive Kontaktverfolgung nahezu unmöglich.

Als die Gesundheitsämter während der Pandemie versuchten, Faxe als Hauptkommunikationsmittel zu nutzen, wurde der Zustand der Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung einem breiten Publikum klar: Die Modernisierung war längst überfällig.

Die Pandemie zeigte deutlich auf, dass Deutschland sein öffentliches Gesundheitswesen dringend modernisieren und digitalisieren muss, um den Anforderungen der Zukunft gerecht zu werden. Angesichts zunehmender Cyberangriffe aus dem Ausland ist dieses Thema heute noch relevanter.

800 Millionen für die Digitalisierung

Als Antwort auf die Herausforderungen während der Pandemie kündigte der Bund an, das Gesundheitssystem mit einem Investitionsvolumen von insgesamt vier Milliarden Euro zu stärken. 800 Millionen Euro davon sollten direkt in die Digitalisierung der Gesundheitsämter fließen.

Der Großteil dieser Mittel (80 Prozent) wurde über ein Förderprogramm an Länder und Kommunen verteilt, um die digitalen Infrastrukturen auf allen Ebenen des öffentlichen Gesundheitsdienstes zu verbessern.

Die Gelder wurden in 488 Projekte investiert, von denen 418 sogenannte Modellprojekte waren. Diese Projekte wurden von Kommunen beantragt, die verschiedene Lösungen zur Digitalisierung ihrer Gesundheitsämter entwickeln wollten.

Ein solches Modellprojekt betreut Matthias Herrling, Informatiker im Gesundheitsamt des Kyffhäuserkreises. „Der Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst hat uns definitiv dabei geholfen, papierloser zu werden und digitaler zu arbeiten“, sagt Herrling.

Digitalisierung in den Gesundheitsämtern: Ein langsamer Prozess

Als Herrling 2021 im Gesundheitsamt des Kyffhäuserkreises begann, war alles noch papierbasiert. Es gab keine einheitlichen Standards zum Datenaustausch, und die Gesundheitsämter agierten weitgehend als digitale Inseln.

“Jeder hatte eigene Systeme, und das Einzige, was wirklich bei allen gleich war, war das Faxgerät und die E-Mail-Adresse”, erinnert sich Herrling. Doch mit den neuen Mitteln aus dem Förderprogramm konnte die Situation spürbar verbessert werden.

Allerdings, so Herrling, blieben viele der Digitalisierungsprojekte unkoordiniert. Obwohl viele Kommunen ähnliche Probleme hatten, wurden oft ähnliche Projekte ohne eine zentrale Koordination umgesetzt. “Am Ende haben alle die gleichen Projekte initiiert, aber niemand hat sie wirklich miteinander abgestimmt”, erklärt Herrling.

Einheitslösungen auf der Landesebene: Fehlende Koordination

Ein weiteres Problem, das auf der Landesebene auftrat, war der Mangel an gemeinsamen Lösungen. Während die Kommunen sich eine einheitliche Lösung für das gesamte Land wünschten, entschieden sich viele Bundesländer, individuelle Anwendungen zu entwickeln.

Diese Lösungen, die grundsätzlich dasselbe Ziel verfolgten, aber auf unterschiedliche technische Systeme setzten, führten zu einer Fragmentierung. Mehr als 100 Millionen Euro wurden in Projekte investiert, die ähnliche Fachanwendungen entwickelten.

Doch anstatt ein „Ein-Land-für-Alle“-Modell zu schaffen, das die Effizienz und Interoperabilität fördern würde, entschied sich jedes Bundesland, eigene Wege zu gehen.

Das Fehlen einer zentralen Koordinierung führte dazu, dass mehrere Bundesländer unterschiedliche Anwendungen entwickelten, die technisch nicht miteinander kompatibel waren. So setzte Hessen auf Open-Source-Software, während Baden-Württemberg und Thüringen auf geschlossene Systeme einzelner Hersteller setzten.

Eine verlorene Chance?

Die Frage bleibt, warum es nicht möglich war, eine koordinierte Lösung zu finden, bei der ein Bundesland in Zusammenarbeit mit anderen die Digitalisierung vorantreibt. Stattdessen entstanden mehrere parallele, aber voneinander getrennte Lösungen.

 Diese Fragmentierung ist besonders problematisch, da sie den Fortschritt der Digitalisierung im Gesundheitswesen erheblich verlangsamt und zu unnötigen Doppelinvestitionen führt.

Die Gesundheitsministerkonferenz (GMK) erklärte, dass während der Antragsphase die Länder ihre Projekte hätten vorstellen müssen, um Synergien zu identifizieren.

Laut einer Stellungnahme des Thüringer Gesundheitsministeriums sei jedoch festgestellt worden, dass gemeinsame Verfahrenslösungen nicht möglich seien. „Viele Leuchttürme machen uns nicht dauerhaft digitaler, wenn sie immer wieder abgeschaltet werden“, sagte dazu die „Gesellschaft für Informatik“ in ihren „Dresdner Forderungen“ von 2021.

Digitalisierung als langfristiger Prozess

Der Expertenmeinung nach bleibt Deutschland noch weit von einer funktionierenden Digitalisierung im Gesundheitswesen entfernt.

“Wir sind in den Systemen hängen geblieben, die wir eigentlich schon immer haben”, so Thomas Meuche vom Kompetenzzentrum Digitale Verwaltung der Hochschule Hof.

Die digitale Transformation im öffentlichen Gesundheitsdienst wird durch schlecht koordinierte Projekte und mangelnde Anpassungsfähigkeit erheblich behindert.

„Vom Zustand des Digitalen sind wir noch weit entfernt“, fügt Meuche hinzu. Dies führt zu einem Vertrauensverlust in die Funktionsfähigkeit des Staates, was demokratiegefährdende Folgen haben könnte.

Wenn Bürger und Unternehmen das Gefühl haben, dass der Staat nicht mehr in der Lage ist, ihre Bedürfnisse zu erfüllen, sinkt das Vertrauen in öffentliche Institutionen.

Fazit: Ein weckruf für die Zukunft

Die Digitalisierung der deutschen Gesundheitsämter hätte mit einer koordinierteren und zentraleren Strategie erfolgreich vorangetrieben werden können.

Stattdessen steht Deutschland nun vor der Herausforderung, verstreute Projekte zusammenzuführen und eine effektive, landesweit einheitliche Lösung zu schaffen.

Die verpasste 800-Millionen-Chance verdeutlicht, wie wichtig es ist, Digitalisierung nicht nur als technisches Projekt zu sehen, sondern auch als langfristige strategische Notwendigkeit für die Zukunft des Landes.

Digitalisierungsprojekte der Gesundheitsämter in Deutschland
Projekt Fördersumme Ziel und Details
Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) 4 Milliarden Euro Investitionen zur Digitalisierung und Modernisierung der deutschen Gesundheitsämter. 800 Millionen Euro für die Digitalisierung, davon 80% für Kommunen und Länder.
Modellprojekte 488 Projekte 418 Modellprojekte zur Verbesserung der digitalen Infrastruktur in den Gesundheitsämtern, mit einem Gesamtvolumen von Millionen Euro.
Fördermittel für die Digitalisierung 100 Millionen Euro Förderung von Fachanwendungen, die auf die Digitalisierung der Gesundheitsämter abzielen. Verschiedene Bundesländer entwickelten jeweils eigene Lösungen, die jedoch technisch nicht miteinander kompatibel sind.
ELFA-Initiative (Ein-Land-für-Alle) Keine Umsetzung Die Idee eines gemeinsamen digitalen Systems für alle Bundesländer wurde nicht realisiert. Stattdessen entwickelten viele Länder eigene Lösungen, was zu unnötigen Doppelinvestitionen und Fragmentierung führte.
Koordination der Digitalisierungsprojekte Fehlende Koordination Obwohl ein Bedarf an koordinierter Zusammenarbeit bestand, scheiterten die Bundesländer daran, Synergien zu nutzen und gemeinsame Lösungen zu entwickeln. Dies führte zu wiederholtem Aufwand und uneinheitlichen Systemen.

Eduarda Moura

Eduarda Moura hat einen Abschluss in Journalismus und einen Postgraduiertenabschluss in digitalen Medien. Mit ihrer Erfahrung als Autorin engagiert sich Eduarda für die Recherche und Produktion von Inhalten für WR News, um den Lesern klare und genaue Informationen zu liefern.