„Wir sind an einem Kipppunkt“ – Deutschlands Landwirtschaft kämpft gegen Rekordtrockenheit
Deutschland durchläuft aktuell eine der schwersten Trockenperioden seit Beginn der Wetteraufzeichnungen.
In vielen Gebieten hat es seit Februar kaum noch nennenswert geregnet.
Die Folgen für die Landwirtschaft sind dramatisch: Felder vertrocknen, Ernten drohen auszufallen und Bauern blicken mit großer Sorge in die Zukunft.
Der Begriff „Kipppunkt“ beschreibt die Lage dabei treffend – denn es steht viel auf dem Spiel.
Das Land leidet unter anhaltender Dürre
Besonders betroffen sind Regionen wie Mannheim, wo Landwirt Wolfgang Guckert vom Guckersthof seine Felder nur noch mit Besorgnis betrachtet.
„Seit Ende Februar hat es hier kaum mehr richtig geregnet“, berichtet er. Auf seinem Acker zeichnen sich tiefe Risse im Boden ab, die Pflanzen leiden unter Wassermangel.
Guckert zieht einige Haferpflanzen aus dem Boden und zeigt braune, vertrocknete Blätter.
„So etwas erwartet man Mitte Mai normalerweise nicht“, sagt er.
Die Prognose für seine Saat ist düster: „Maximal 40 Prozent der Pflanzen werden es schaffen.“
Der Rest drohe zu verdursten. Trotz erheblicher Investitionen in Saatgut, Maschinen und Dünger sinke der Ertrag dramatisch.
„Das tut schon weh, wenn man sieht, wie viel man reinsteckt und am Ende so wenig herauskommt.“
Nicht nur Hafer, auch Maispflanzen auf benachbarten Feldern kämpfen gegen die Trockenheit.
Nur etwa 20 bis 30 Prozent der ausgesäten Pflanzen seien aufgegangen, während der Rest vertrocknet sei – ein kompletter Ernteausfall stehe bevor.
„Die Erde ist staubtrocken, fast sandig“, beschreibt Guckert resigniert die Lage.
Bewässerung – ein teurer, kaum lohnender Kampf
Um die noch vorhandenen Pflanzen zu erhalten, greifen Landwirte wie Guckert auf Bewässerung zurück.
Doch die Felder sind weitläufig, das nötige Wasser knapp, und der Energieaufwand für Pumpen ist hoch.
Der Aufwand ist enorm und die Kosten steigen stetig.
„Bis Ende Mai lohnt sich die Bewässerung kaum noch“, erklärt Guckert, der zudem Vorsitzender des Kreisverbandes der Bauern im Rhein-Neckar-Kreis ist.
Für viele Betriebe bedeutet das, die Verluste hinzunehmen und auf bessere Erntejahre zu hoffen: „Nächstes Jahr neues Spiel, neues Glück.“
Doch die Sorgen sind groß, da der Klimawandel diese Extremlagen häufiger und intensiver machen wird.
Auch die Heuernte leidet stark
Die Trockenheit trifft nicht nur das Getreide, sondern auch die Heuernte.
Rudolf Bühler von der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall prognostiziert einen Ernteausfall von etwa 50 Prozent im Vergleich zu normalen Jahren.
In manchen Regionen Deutschlands, die noch trockener sind als Hohenlohe, könnte die Lage noch schlimmer sein.
Fehlt frisches Gras, müssen Landwirte schon im Sommer Heu zufüttern.
Dies bedeutet, dass die Lagerstätten für den Winter früher als üblich leer sind und teures Futter zugekauft werden muss.
Die Preise für Heu dürften dadurch deutlich steigen, was die Betriebe zusätzlich belastet.
Unterschiedliche Bodenbeschaffenheit verstärkt regionale Unterschiede
Johann Meierhöfer vom Deutschen Bauernverband warnt, dass die Situation regional sehr unterschiedlich ist.
Sandige Böden speichern Wasser schlecht und sind besonders anfällig für Dürre.
Böden mit gutem Grundwasseranschluss können die aktuelle Trockenheit besser überstehen, doch auch hier ist die Lage angespannt.
Ein weiteres Problem sind die starken Winde, die in Nord- und Ostdeutschland wie ein Fön wirken und den Boden zusätzlich austrocknen.
„Wir sind an einem Kipppunkt“, sagt Meierhöfer.
„An den besonders schlechten Orten wird es sehr schlecht werden.
Selbst die Gebiete, die jetzt noch in Ordnung sind, werden in naher Zukunft Probleme bekommen, wenn nicht schnell Regen kommt.“
Zukunftsaussichten: Mehr Schwankungen durch den Klimawandel
Meierhöfer erwartet durch den Klimawandel künftig stärkere Schwankungen bei den Ernten. Sehr gute Jahre könnten von extrem schlechten abgelöst werden.
Um besser mit diesen Herausforderungen umgehen zu können, fordert er mehr Anstrengungen seitens der Bundesregierung.
Dazu gehört einerseits der großflächige Ausbau von Regenwasserspeicherung, um bei Niederschlägen Wasser länger zu konservieren und in Trockenzeiten nutzen zu können.
Andererseits plädiert er für eine steuerliche Entlastung der Landwirte – sogenannte Steuerglättung.
Das bedeutet, dass die Steuerlast nicht jährlich, sondern über mehrere Jahre verteilt berechnet wird, sodass Ausfälle in schlechten Jahren besser ausgeglichen werden können.
Der Erhalt der bäuerlichen Strukturen sei entscheidend für die Ernährungssicherheit.
Viele Betriebe pleitegehen zu lassen, würde zerstörte Strukturen hinterlassen, die nicht einfach wiederhergestellt werden könnten.
Langfristige und nachhaltige Unterstützung sei daher unerlässlich.
Meteorologische Erklärung: Hochdruckgebiete blockieren Regen
Meteorologe Bernd Madlener beschreibt die aktuelle Trockenperiode als rekordverdächtig.
„Es ist eines der trockensten Frühjahre seit Beginn der flächendeckenden Wetteraufzeichnungen“, erklärt er.
Die Ursache liegt in stationären Hochdruckgebieten, die über Europa festhängen und den Weg für regenbringende Tiefdruckgebiete blockieren.
Der Klimawandel verstärkt dieses Phänomen.
Da sich die Temperaturen weltweit unterschiedlich schnell erhöhen, verringern sich Temperatur- und Druckunterschiede, die normalerweise für Wind und Wetterbewegungen sorgen.
Dadurch bleiben die Hochdruckgebiete länger an Ort und Stelle, und der dringend benötigte Regen bleibt aus.
Madlener rechnet frühestens gegen Ende Mai mit einer Wetteränderung, wenn Tiefdruckgebiete wieder durchziehen und Regen bringen könnten.
Fazit: Ein Weckruf für Politik, Gesellschaft und Landwirtschaft
Die momentane Trockenheit zeigt eindrücklich, wie verletzlich unsere Landwirtschaft ist – und wie stark sie vom Klimawandel betroffen ist.
Landwirte stehen vor existenziellen Herausforderungen, deren Lösung nicht nur in ihren Händen liegt.
Politik muss jetzt handeln: Investitionen in Wasserinfrastruktur und nachhaltige Bewässerungssysteme sind unerlässlich.
Gleichzeitig braucht es finanzielle Unterstützung und Entlastungen, damit Betriebe die Klimakrise überstehen und weiterhin die Versorgung der Bevölkerung sichern können.
Die Gesellschaft sollte den Wert der heimischen Landwirtschaft und ihrer Produkte stärker anerkennen – gerade in Zeiten, in denen Umwelt- und Klimaschutz immer wichtiger werden.
Die kommenden Monate werden zeigen, ob sich der Wettertrend ändert und wie die Landwirtschaft mit dieser historischen Trockenheit umgehen kann.
Klar ist: Wir stehen an einem entscheidenden Punkt, der Weichen für die Zukunft stellt.